Trinh T. Minh-Ha
Weißer Frühling
übersetzt von Dagmar Fink und Susanne Lummerding (gender et alia)
in: Sabine Breitwieser (Hg.): Theresa Hak Kyung Cha: Der Traum des Publikums
Wien: Generali Foundation, 2004, S. 54-75 [Auszug]

In der Stille erwachend sagt man sich: es ist ein Traum – und nun? Man fragt sich, ob man einfach eine Stille geträumt hat oder ob Stille der Klang eines Traumes ist. Der gesamte Raum ist erfüllt von strahlender Stille. Offenen Auges sieht man dennoch absolut nichts, und man spitzt die Ohren: Nein, da ist nicht einmal der entfernte Widerhall eines Ich. Und doch, irgendwo in der Nähe strahlt etwas still: Wieder Erkennen. Weißer Mond, dunkle Erde, lichtes Schreiben. Versucht man, dieses Strahlen in Sichtbarkeit zu fassen, entgeht es rasch dem Blick. Versucht man, selbst mit der dunkleren Hand, es zu berühren, wird bald die nach einem Beweis verlangende hellere Hand allen Ernstes danach greifen und es seiner Freiheit berauben, zu entschwinden. Vielleicht vergisst die schützende und wohl meinende Hand einfach, sich rechtzeitig zurückzuziehen, so dass das der Schein von sich aus aufleuchten könnte. Im Übergang vom Licht zum Einfangen des Lichtes oder vom Traum zu dessen Deutung liegt, stetig lauernd, das Risiko, den eigentlichen Raum des Traumes zu leeren und darüber hinaus zu verhindern, dass aus schlafenden Körpern Traumländer aufsteigen könnten.

Hier, wo der schwarze Mond scheint, dort, wo der weiße Pfad in der Nacht verschwindet, zwischen Träumerei und Widerstand ruht ein bekanntes Gesicht: das der Abwesenden – die Künstlerin-Dichterin, welche die alte Rolle des Mediums und zugleich der Magnetisierenden annimmt. Sie ist es, der die magische Aufgabe zukommt, Stimmen und Blicke auferstehen zu lassen, indem sie Schatten auftauchen und sprechen lässt. Die Herstellerin-/EmpfängerIn ist dazu bestimmt, in Einem wie in der Vielfalt zu träumen: kein Ende in Sicht. Heute, wie jeden Tag, wenn ich in einen von Dunkelheit versiegelten Raum zurückkehre, flackert unverzüglich ein Vibrieren auf, während sich ein Lichtfenster in meine Gedanken gräbt. Auf der weißen Oberfläche der virtuellen Leinwand erscheint ein Bild, so wie sie es teilweise beschrieben hat: In einem dämmerigen Performanceraum, von der BetrachterIn durch einen hauchdünnen Baumwollvorhang abgetrennt, der eine „opake Transparenz“ erzeugt, bewegt sich die in ein weißes Kleid gehüllte Künstlerin langsam innerhalb eines von Kerzen beleuchteten, ovalen Bereichs, während sie “ 20 Meter schwarzen und roten Stoffes von unten her“ aufrollt. Während der Stoff in den choreographierten Gesten der Künstlerin entrollt wird, wird sie darin verflochten. Bewegung und Ruhen, Ton und Stille sind sorgsam akzentuiert, denn, wie sie schrieb, wünscht sie sich mit dieser Arbeit (A Ble Wail, 1975), „der Traum des Publikums zu sein“. (1)

Sie tritt als Theresa Hak Kyung Cha auf, und sie ist viele. (Doch, es sind unter uns nur wenige, für die Schwarz keinen Gegensatz hat: weder im Vergleich zu Etwas, noch gleichgesetzt mit Nichts.) Vieles erinnere ich aus der Zeit, da ich ihrer Arbeit zum ersten Mal begegnete. Nach einem langen Aufenthalt im Senegal war ich in die Vereinigten Staaten zurückgekehrt und trat, im Anschluss an die Fertigstellung des Films Reassemblage, eine Schreibreise mit Woman, Native, Other an. 1982: Das Jahr sagt schon alles; es stellte einen absoluten Wendepunkt für Cha wie auch für mich dar. Ich erkannte den Ton, die Schnitte, das Warten, die Dämmerung – auf halbem Wege zwischen der anbrechenden Nacht und dem sich wieder neigenden Tag. Die zwei Lichter (nicht eines, auch nicht zwei), zu denen Vernunft und Analyse nichts zu sagen haben. Ich erkannte die Stimme – vielstimmig und gänzlich singulär. Eine blinde Stimme, die barfuß in das Zentrum des (unserer) Schatten läuft. Durch sie hindurch vernahm ich in Hörweite die Stimmen von FrauenMännern (im Original: WoMen, A.d.Ü.): Mutter und Urmütter Koreas (Yu Guan Soon, Ahn Joong Kun und die historischen Stimmen des Widerstands), einige aus Chas vergangenem „Anderswo“ (darunter Sappho, die neun Musen der griechischen Mythologie, die Heilige Theresia und Jeanne d’Arc); und einige unserer gemeinsamen kulturellen Verortungen, einschließlich Marguerite Duras (ihre vom Tod in der Liebe zur Strecke gebrachten Spiegel-Stimmen), Samuel Beckett (sein ver-sprochenes, ver-sehenes, Drei-in-Eins-ANDERES), oder Stéphane Mallarmé (sein Schatten und seine Muse[n] – La morte qui parle, Die Tote, die spricht). Mein Hineinfallen in Chas Arbeit war eine Zufallsbegegnung und zugleich unvermeidlich. Wenn zwei Fremde einander begegnen und zu FreundInnen, Geliebten oder GefährtInnen werden, sagt man in Asien oft, „ihre Wege waren dazu bestimmt, sich zu kreuzen“ und dass sie lediglich eine vergangene Schuld einlösen. Nicht, weil wir notwendigerweise einen ähnlichen Hintergrund oder Interessen teilten, wie allgemein angenommen wird, sondern vielleicht weil wir feststellten, dass wir, ohne dies zu planen, in den gleichen FRÜHLING eintraten.

You remain dismembered with the belief that magnolia blooms white even on seemingly dead branches and you wait. (Du bleibst zerstückelt im Glauben, dass die Magnolie selbst an scheinbar toten Ästen weiße Blüten trägt, und du wartest.) (2) […]

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